30.05.2023 Von A - Z
Interviewreihe - Die Hochschule Schmalkalden und die Frankfurt University of Applied Sciences im Gespräch
Die Hochschule Schmalkalden und die Frankfurt University of Applied Sciences gehören zu denen in der ersten Runde geförderten Hochschulen. Im Interview sprechen Susanne Rägle, Vizepräsidentin für Forschung, Weiterbildung und Transfer an der Frankfurt University of Applied Sciences, und Thomas Seul, Vizepräsident für Forschung und Transfer an der Hochschule Schmalkalden , darüber, was ihre Hochschulen besonders macht - und warum das Programm "FH-Personal" für sie genau richtig kommt.
Herr Professor Seul, Sie sind Professor für Fertigungstechnik und Werkzeugkonstruktion und Vizepräsident für Forschung und Transfer an der Hochschule Schmalkalden. Wie ist es dazu gekommen?
Seul: Da muss ich wohl ganz vorne beginnen. Ich habe eine Ausbildung gemacht und habe damals den Beruf des Werkzeugmachers gelernt. Ich hatte damals einen tollen Berufsschullehrer und hatte mir in den Kopf gesetzt, dass ich auch Berufsschullehrer werden möchte. Ich habe dann mein Fachabitur nachgeholt, habe an einer Fachhochschule Maschinenbau studiert und bin nach dem Abschluss an eine Universität gewechselt. Im Rahmen meines Staatsexamens als Berufsschullehrer bin ich aber an einem Kunststoff-Institut hängen geblieben. Und dann war ich auf einmal Doktor des Maschinenbaus und habe in der Industrie gearbeitet, als Leiter einer Entwicklungsabteilung für Kunststoff-Produkte in der Medizintechnik.
Und wie sind Sie dann als Professor in Schmalkalden gelandet?
Seul: Eigentlich wollte ich nie den Weg einer Professur gehen. Ich war schon längere Zeit in der Industrie, mir ging es dort sehr gut, hatte eine tolle Zeit mit einem guten Team. Aber manchmal gibt es halt im Leben so Entscheidungen, an denen Du rechts oder links gehen kannst. Ich habe damals die Anzeige für die Professur in Schmalkalden gesehen und habe mich einfach mal beworben, auch, um zu sehen, wie so ein Bewerbungsprozess überhaupt abläuft. Ich wusste ehrlich gesagt nicht mal, wo Schmalkalden liegt, ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Aber ich hatte ja nichts zu verlieren. Und dann wurde mir die Professur tatsächlich angeboten. Und ich habe mich, nach einigen schlaflosen Nächten, dafür entschieden, nach Schmalkalden zu gehen.
Frau Professorin Rägle: Sie haben zunächst als Steuerberaterin gearbeitet, jetzt sind Sie Professorin für Betriebswirtschaftslehre, Steuern und Rechnungslegung und Vizepräsidentin für Forschung, Weiterbildung und Transfer an der Frankfurter University of Applied Sciences. Was macht Ihre Hochschule für Sie attraktiv?
Rägle: Unsere Hochschule liegt mitten in einer der größten Städte Deutschlands. Das ist natürlich attraktiv, Teil einer solchen pulsierenden Metropole zu sein. Bei uns arbeiten und studieren Menschen aus mehr als 100 Nationen. Und auch die Hochschule selbst ist sehr vielfältig aufgestellt: Wir haben vier große Fachbereiche, die so groß sind wie manche andere Hochschule für angewandte Wissenschaften im Gesamten. Diese Fachbereiche decken eine unfassbar große Bandbreite an Disziplinen ab, das geht von der Architektur bis zur sozialen Arbeit. Das macht die Arbeit an der Hochschule natürlich sehr spannend und abwechslungsreich.
Susanne Rägle studierte an der Universität Mannheim Wirtschaftsinformatik und wurde dort zur Dr. rer. pol. promoviert. Für ihre Dissertation entwickelte sie ein Künstliches Neuronales Netz zur Beurteilung des Fehlerrisikos eines handelsrechtlichen Jahresabschlusses. Derzeit arbeitet sie an einer Learning Machine zur Unterstützung steuerlicher Klassifikationsentscheidungen. Rägle war bei Ernst & Young tätig, absolvierte das Examen zur Steuerberaterin und leitete zuletzt die Steuerabteilung der MVV Energie AG. Die Möglichkeit, Praxis und Lehre zu verzahnen, nahm sie in Form von Lehraufträgen wahr. 2004 folgte sie dem Ruf auf eine Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Steuern und Rechnungslegung an die Frankfurt UAS. Sie engagierte sich in der Selbstverwaltung am Fachbereich Wirtschaft und Recht, insbesondere im Fachbereichsrat, leitete den deutsch-französischen Bachelor-Studiengang Betriebswirtschaft sowie zwei Prüfungsausschüsse und verantwortete das Fach Steuern. 2022 wurde sie zur neuen Vizepräsidentin für Forschung, Weiterbildung und Transfer an der Frankfurt University of Applied Sciences gewählt.
Herr Seul, die Hochschule Schmalkalden ist ein wenig das Kontrastprogramm: Etwa 2500 Studierende, gelegen in einer 20 000-Einwohner-Stadt. Womit kann Schmalkalden punkten?
Seul: Der Hochschulstandort ist sehr modern, die gesamte Einrichtung ist in einem hervorragenden Zustand. Manchmal habe ich hier Menschen in der Weiterbildung, die aus allen Teilen Deutschlands kommen. Die gehen in die Hochschule, in die Mensa, in die Räume, die Labore und denken sich: Wow, wie cool ist das denn hier? Und das ist natürlich neben dem familiären der Hochschule und der Möglichkeit, zu ganz anderen finanziellen Kosten als in anderen Städten zu studieren, ein großer Pluspunkt. Als Professor hat man hier zudem einen sehr großen Freiheitsgrad: Man kann an der Hochschule Schmalkalden wirklich das umsetzen, was einem in Lehre und Forschung wichtig ist, da gibt es viele Freiräume.
Wenn Sie das hören, Frau Rägle: Wünschen Sie sich da manchmal, Professorin an einer kleineren Hochschule im eher ländlichen Raum zu sein?
Rägle: Grundsätzlich ist es natürlich toll, an einer großen Hochschule in einer großen Stadt zu arbeiten, das bietet einfach unfassbar viel Interaktion, Interdisziplinarität, Ideen. Toll wäre es, wenn wir weniger Platzmängel hätten und besser bauen könnten – in der Innenstadt ist das oft nicht so einfach. Und es ist natürlich eine Aufgabe, sich bei dieser Größe nicht aus den Augen zu verlieren.
Und Sie, Herr Seul – wären Sie manchmal gerne Frankfurter?
Seul: Es kommt darauf an. Das Gras ist immer grüner hinter dem Zaun (lacht). Bei uns so, dass Sie einfach sehr viel Verantwortung für unterschiedliche Tätigkeiten und Bereiche haben. Sie müssen sich um alles Mögliche kümmern, da gibt es keine bzw. kaum Strukturen des wissenschaftlichen Mittelbaus oder ähnliches. Unsere Dezernate sind mit geringen personellen Ressourcen ausgestattet. Hier macht jeder vieles, insbesondere auch im Rahmen der Selbstverwaltung der Hochschule, damit muss man zurechtkommen.
Kommen wir zum Thema FH-Personal. Frau Rägle, wie sieht es an Ihrer Hochschule mit der Besetzung von Professuren aus?
Rägle: Es ist grundsätzlich schwierig. Wir sind in den vergangenen Jahren sehr gewachsen, die Zahl unserer Studierenden ist stark gestiegen. Die Zahl der Professorinnen und Professoren hat da aber noch nicht nachgezogen. Dazu kommt der demografische Wandel. Bis 2026 müssen wir eigentlich 120 Professuren nachbesetzen – aktuell haben wir 250.
Gibt es Fachbereiche, in denen es besonders herausfordernd ist, Mitarbeitende zu finden?
Rägle: In der Informatik oder den Rechtswissenschaften ist es wirklich sehr schwierig, genügend qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber zu finden. Dazu kommen neue Studiengänge wie die Pflegewissenschaften, wo die Akademisierung gerade erst am Anfang ist.
Was glauben Sie: Ist es bei der Personalrekrutierung für Sie eher ein Vor- oder Nachteil, den Sitz in Frankfurt zu haben?
Rägle: Sowohl als auch. Zum einen bietet die Stadt natürlich ein wahnsinnig attraktives Arbeits- und Lebensumfeld. Zum anderen tummeln sich hier natürlich auch viele attraktive Arbeitgeber – ob aus dem akademischen Raum oder in der freien Wirtschaft. Da gibt es natürlich einen Wettbewerb um die klügsten Köpfe.
Herr Seul, wie sieht es bei Ihnen aus? Welche Erfahrungen machen Sie bei der Besetzung von Professuren?
Seul: Die gestaltetet häufig sehr schwierig, vor allem in den Ingenieurwissenschaften. Da kriegen sie manchmal, auch auf mehrere Ausschreibungen, kaum Bewerbungen.
Wie wollen Sie das ändern? Welche Zielgruppe wollen Sie an Ihre Hochschule locken?
Seul: Nun die Besetzung von Professuren erfordert zum einen absolute fachliche Kompetenz, Erfahrung sowie Reputation. Zum anderen brauchen wir Menschen mit Persönlichkeit, insbesondere in Lehre und Gesellschaft. Sie können sich vorstellen, dass auch gerade derzeit die Wirtschaft, Industrie ein ähnliches Anforderungsprofil einstellt, oft bei höheren Gehältern. Wir brauchen die Überzeugungstäter:innen… Mir sind eigentlich die am liebsten, die nach einem erfolgreichen Masterabschluss vielleicht mal sieben, acht Jahre rausgehen aus der Region und dann wiederkommen. Die finde ich am spannendsten, weil die auch wieder andere Erfahrung einbringen. Und wenn die dann nach Schmalkalden wiederkommen, weiß ich zwei Dinge. Erstens: Wir haben vor einigen Jahren, als diese Menschen bei uns studiert haben, einiges richtig gemacht. Zweitens: Ich muss diesen Rückkehrern Schmalkalden nicht mehr erklären. Wir können direkt inhaltlich darüber sprechen, was wir mit der Professur erreichen wollen.
Thomas Seul ist seit dem Sommersemester 2007 an der Hochschule Schmalkalden Professor für Fertigungstechnik und Werkzeugkonstruktion. Seit Januar 2008 hat er an der Hochschule zudem das Amt des Prorektors für Forschung und Transfer inne und leitet das Labor für Angewandte Kunststofftechnik. Thomas Seul startete seine Karriere mit der Berufsausbildung zum Werkzeugmacher mit Fachrichtung Spritzgussformenbau. Anschließend schloss sich sein erstes Studium im Maschinenbau, mit dem Studienschwerpunkt Konstruktion, in Iserlohn an. Sein zweites Studium, Lehramt/Sekundarstufe II mit beruflicher Fachrichtung Maschinentechnik, beendete er 1999 an der Universität in Essen. Professor Seul war Projektingenieur am Institut für Kunststoffe im Maschinenbau in Essen und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) der RWTH in Aachen. Anschließend arbeitete er mehrere Jahre als Abteilungsleiter der Forschung & Entwicklung bei der Balda Medical in Bad Oeynhausen.
Frau Rägle, genau wie die Hochschule Schmalkalden wird auch Ihre Hochschule in der ersten Runde des Programms „FH-Personal“ gefördert. Was möchten Sie mit Ihrem Projekt umsetzen?
Rägle: Wir konnten ja durch dieses Projekt sehr kreative Ideen entwickeln. Eine davon ist ein duales Format, das jeweils hälftig im Partnerunternehmen und an der Hochschule stattfindet. Diese sogenannten kooperativen Promotionen werden sehr gut angenommen, wir konnten sie auch relativ zügig zu 100 Prozent besetzen. Da sind alle Zweifel, die vielleicht am Anfang noch bestanden, schon ausgeräumt.
Was haben Sie sich noch zum Ziel gesetzt?
Rägle: Wir arbeiten nochmal deutlich strukturierter im Mentoring von Neuberufenen. Das gab es natürlich vorher schon, aber das haben wir jetzt nochmal auf eine neue Ebene gehoben. Und wir haben die Idee der Innovationsprofessur entwickelt: Diese elf Innovationsprofessuren fokussieren sich auf strategisch wichtige Vorhaben an unserer Hochschule. Die ausgewählten Professorinnen und Professoren dürfen ihr Lehrdeputat für drei Jahre um sechs Semesterwochenstunden reduzieren, um sich konkreten Forschungsthemen oder der Durchführung neuer Projekte zu widmen. Die Projekte, die dort ausgewählt wurden, sind wirklich wahnsinnig spannend und vielfältig, wir können uns auf die Ergebnisse freuen. Und das ist natürlich eine Möglichkeit, die HAW-Professur attraktiver zu machen.
Herr Seul, was ermöglicht FH-Personal Ihnen?
Seul: Ohne FH-Personal hätten wir viele gute Ideen nicht umsetzen können. Deswegen bin ich mehr als glücklich, dass wir für das Programm ausgewählt wurden. Uns ist es im Programm vor allem wichtig, die Hochschule in der Region noch stärker als Leuchtturm sichtbar zu machen – gleichzeitig aber, zum Beispiel mit Schwerpunktprofessuren, auch die überregionale Reputation zu steigern und somit noch attraktiver für Talente zu werden. Wichtig ist es uns dabei auch, dass wir uns gut um unsere Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler kümmern. Denn die sind es, die vielleicht in zehn, zwölf Jahren für eine Professur bei uns in Frage kommen. Und da muss man die Kontakte halten, vielleicht auch mal aktiv ansprechen.
Sie haben im Programm auch eine Tandem-Professur. Welche Erfahrungen haben Sie damit bisher gemacht?
Seul: Das funktioniert prächtig. Ich übertreibe nicht. Das brauche ich nicht. Und da haben wir genau diese Wechselwirkung zwischen Wirtschaft, Industrie, Hochschule, Potenzial und Möglichkeiten. Das war formal gar kein leichter Akt, wir hatten noch nie Juniorprofessuren und schon gar keine Tandem-Professuren, da mussten wir einige Gremien überzeugen. Aber jetzt ist diese Idee in den Köpfen drin. Mit FH-Personal konnten wir diese starten. Und jetzt wissen wir: Der Versuch hat Erfolg.
Frau Rägle, Herr Seul, eine Frage zum Schluss: Was macht die HAW-Professur für Sie so attraktiv?
Rägle: Dieser Beruf wird nie langweilig, er kann gar nicht langweilig werden. Sie sind, allein durch die Studierenden, immer dazu gezwungen, auf dem neuesten Stand zu bleiben. Das ist das, was ich mag. Und das andere ist natürlich auch, dass wir als Hochschule sehr autonom sind. Wir in der besonderen Situation, in der tollen Situation, dass wir Verantwortung übernehmen können für das, was wir tun. Das ist eine großartige Sache.
Seul: Man hat im Endeffekt keinen Chef, der einem sagt, in welche Richtung man sich im Bereich Forschung und Lehre zu entwickeln hat. Natürlich gibt es Leitplanken einzuhalten, aber es gibt einen sehr großen Freiheitsgrad. Und wenn Du Spaß daran hast, mit Menschen Wissen zu teilen, dann ist das eigentlich der beste Beruf überhaupt!