05.11.2020
Breite und nachhaltige Stärkung von Fachhochschulen durch das Bund-Länder-Programm „FH-Personal“ - Expertengremium trifft Auswahl für die Förderung
Bund und Länder fördern im Rahmen ihres gemeinsamen Programmes „FH-Personal“ die Gewinnung und Qualifizierung professoralen Personals an Fachhochschulen bzw. Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW). Nach einem expertengeleiteten Auswahlverfahren stehen nun die 64 zu fördernden Hochschulen der ersten von zwei Bewilligungsrunden fest.
Frau Böckelmann, Frau Grande: 2019 sind die Fachhochschulen in Deutschland 50 Jahre alt geworden. Sie werden als Erfolgsmodell gefeiert. 2018 ist der Anteil der Neueinschreibungen an Fachhochschulen auf 44 Prozent aller Studienanfänger/-innen gestiegen. Was macht Fachhochschulen/Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) aus Ihrer Sicht so erfolgreich?
Böckelmann: Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft entstehen oft dadurch, dass Praxiswissen und aktuelle wissenschaftliche Kompetenzen miteinander verbunden werden. Diese Verbindung zu erreichen ist eine hohe Kunst. Für mich haben die Fachhochschulen diese Kunst zu ihrer Expertise entwickelt – das macht sie als Institutionen so attraktiv. Dazu sind sie für Studierende reizvoll, weil sie hier eine Qualifikation erwerben können, bei der es darum geht, die Alltagspraxis wissenschaftlich kompetent weiterzuentwickeln. Bei einem Studium an einer Fachhochschule kommt man ganz nah an die Herausforderungen der Wirtschaft und des Lebens ran.
Grande: Für mich hängt der Erfolg der Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften stark damit zusammen, dass sie in der Lehre deutlich strukturierter sind als die Universitäten. Wir haben es da oft mit kleinen Gruppen zu tun, in denen die professorale Betreuung sehr eng und individuell ist. Und dann sind neben der Lehre auch die Forschungs- und Entwicklungsthemen an Fachhochschulen sehr spannend, weil sie nicht selten verbunden sind mit regionalen Unternehmen – die vor Ort forschen und Innovationen betreiben, an denen sich auch die Studierenden frühzeitig beteiligen können. Das ist ein Modell, das für viele junge Leute attraktiv ist. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass die Fachhochschulen gerade für Bildungsaufsteiger oft interessanter sind als Universitäten – weil sie die stärkere Orientierung an der Praxis und die individuellere Begleitung durch das Personal schätzen.
Frau Böckelmann, Sie sind Direktorin einer Wirtschaftsfachhochschule in der Schweiz. Welche Beobachtungen zu den Herausforderungen einer FH-Professur haben Sie auf Ihrem Karriereweg einerseits und aus ihren wissenschaftlichen Beobachtungen zur FH-Professur andererseits gemacht?
Böckelmann: Grundsätzlich wird viel zu wenig darüber gesprochen, welche breite, ausdifferenzierte Qualifikation wir von den Professorinnen und Professoren fordern. Ein akademischer Leistungsnachweis allein genügt nicht – und ebenso genügt es nicht, über reichlich Praxiserfahrung zu verfügen. Das ist eine große Herausforderung für viele. Zumal es auch nicht reicht, nur zu Beginn seiner Laufbahn mal in der Praxis tätig gewesen zu sein. Es braucht kontinuierlichen Austausch mit der sich sehr rasch entwickelnden Praxis. Das heißt, der Weg der Qualifizierung nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Praxis hört nie auf.
Frau Grande, Sie waren fünf Jahre lang Rektorin der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kunst Leipzig. Welchen Herausforderungen stehen Fachhochschul-Leitungen bei der Gewinnung und Entwicklung professoralen Personals gegenüber?
Grande: Zunächst muss man da feststellen, dass die Ausgangslagen für Fachhochschulen sehr heterogen sind: In Leipzig zum Beispiel hat man ganz andere Bedingungen als an einer Fachhochschule, die in einer eher strukturschwachen Gegend liegt. Dazu gibt es natürlich große Unterschiede in den Fachrichtungen: In den Sozial- und Gesundheitsbereichen ist die Akademisierung einfach noch nicht weit fortgeschritten, da ist die Nachwuchsgewinnung so schwierig, weil es kaum Nachwuchs gibt. In den MINT-Fächern dagegen ist die Herausforderung, dass die Fachhochschulen mit Unternehmen konkurrieren, die oft ganz andere Gehälter anbieten können. Was alle Fachhochschulen teilen, ist, dass der Karriereweg zur Fachhochschul-Professur ganz schön kompliziert ist: Er ist nicht sofort plausibel, weil die Bekanntheit im Vergleich zu den Universitäten geringer ist. Er ist auch nicht geradlinig. Man kann an eine Universität gehen und – wenn man möchte - die Universität bis zur Professur nicht mehr verlassen. Das ist an Fachhochschulen nicht möglich – alleine, weil Jahre in der Praxis vonnöten sind.
Fachhochschulen/HAW leisten insbesondere in ihrer jeweiligen Region wichtige Beiträge zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Dabei stehen sie bei der Gewinnung von Professorinnen und Professoren vor sehr spezifischen Herausforderungen. Denn Fachhochschulprofessorinnen und – Professoren müssen sowohl wissenschaftlich qualifiziert sein als auch Praxis- und Lehrerfahrung vorweisen. Bei der Gewinnung dieses Personals stehen sie oft im Wettbewerb mit der Wirtschaft, haben u.U. mit standortspezifischen Wettbewerbsnachteilen zu kämpfen oder benötigen wissenschaftlichen Nachwuchs in Fächern, in denen Universitäten nicht vertreten sind und es kaum wissenschaftlich qualifiziertes Personal gibt.
Im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit der Herausforderungen und Rahmenbedingungen von Fachhochschulen/HAW wird die Förderung auf Grundlage standortspezifischer Konzepte erfolgen. Durch eine der Antragstellung vorgeschaltete Konzeptphase haben Bund und Länder einen Strategieimpuls für eine stärkere konzeptionelle Verankerung von Personalgewinnung und -entwicklung von Professorinnen und Professoren an Fachhochschulen/HAW gesetzt, damit Rekrutierung und Qualifizierung des professoralen Nachwuchses nachhaltig in den Blick genommen werden.
2016 publizierte der Wissenschaftsrat Empfehlungen zur Personalgewinnung und -entwicklung an Fachhochschulen (Drs. 5637-16), die die besonderen Herausforderungen von Fachhochschulen in den kommenden Jahren beleuchteten. 2017 zeigte eine vom BMBF geförderte Studie, dass bei Stellenausschreibungen an Fachhochschulen viele Ausschreibungen in der ersten Runde erfolglos bleiben. Dies betrifft beispielsweise im MINT-Bereich fast jede zweite Ausschreibung – obwohl gleichzeitig ungefähr die Hälfte der in Deutschland ausgebildeten Ingenieurinnen und Ingenieure den Abschluss an einer Fachhochschule macht. Im Herbst 2018 beschlossen Bund und Länder das Bund-Länder-Programm Maßnahmen zur Gewinnung und Entwicklung von professoralem Personal an Fachhochschulen nach Maßgabe von § 4 Absatz 2 der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern „FH-Personal“. Bund und Länder stellen hierfür gemeinsam bis zu 431,5 Millionen Euro zur Verfügung; 71 % trägt der Bund, 29% tragen die Sitzländer.